Was ist Trauer?
Wir alle sind in unserem Leben in ein permanentes Werden und Vergehen
eingebunden. Die Natur zeigt uns durch die vier Jahreszeiten wie ständiges
Verändern und Loslassen harmonisch verläuft. Hier erkennen wir, dass
Abschiednehmen und Loslassen im ständigen Prozess der Entwicklung
und Veränderung lebensnotwendig sind und nehmen das Werden und
Vergehen wahr. Hat der Winter seinen Abschied genommen bricht im
Frühling die Natur zu Neuem auf.
Nur wenn ich Altes los lasse kann Neues entstehen.
Die Trauer ist unsere natürliche Ausstattung, die es ermöglicht, uns in
diesem natürlichen Kreislauf zurecht zu finden. Sie ist eine gesunde
Reaktion unserer ganzen Persönlichkeit, die wieder neu entwickelt und
geübt werden muss.
Trauer ist eine emotionale Reaktion auf ein Verlustereignis.
Gefühle wie Angst, Verzweiflung, Wut, Leere, Hoffnungslosigkeit und
Sehnsucht erschüttern uns. Aber auch Wehmut, Dankbarkeit und Liebe
machen die Trauer zu einem Zustand, in dem Schmerz und Berührtheit
einander begegnen.
Trauer erfasst den ganzen Menschen und alle seine Lebensbereiche.
Sie schlägt sich auf der Leibebene (Magenschmerzen, Atemnot), auf der
seelischen Ebene (Suizidgefahr, Ersatzsüchte - Aktivismus, Alkohol...), auf
der sozialen Ebene (Vereinsamung, Existenzangst) und auf der geistigen
Ebene (Alpträume, negative Fantasien) und der ökologischen Ebene
(Bodenlosigkeit, Verlust von Eingebettet sein) nieder.
Trauer ist keine Krankheit.
Wir leben in einer Gesellschaft, in der Worte wie Tod und Trauer ein
Tabuthema geworden sind. Für das Trauern, für traurige Gefühle und
Tränen fehlt Zeit und Raum. Gut gemeinte Ratschläge wie: „Das Leben
geht weiter“ oder „Zeit heilt alle Wunden“ tragen zum Verdrängen und
Verleugnen unserer Gefühle bei. Trauergefühle kann man zurück halten,
aber sie werden immer, auch gegen unseren Willen versuchen, sich Luft
zu verschaffen, selbst wenn dies auf Kosten der Gesundheit gehen sollte;
denn sie folgen dem natürlichen Drang nach Ausdruck und Leben.
Der schlechte Umgang mit Trauer kann den Menschen krank machen,
zur Versteinerung oder Gefühlsüberschwemmung und letztlich sogar in
die Depression führen.
Trauern zu können ist eine Stärke, keine Schwäche.
Es führt kein Weg an der Trauer vorbei, nur durch sie hindurch.
Gelebte Trauer, unseren Gefühlen und Empfindungen Ausdruck zu
verleihen, ist der Weg zurück zur Lebendigkeit. Wo Platz für Tränen ist
auch Platz für Freude entsteht. Der Volksmund sagt: Freud und Leid
sind nah beieinander.
Wenn wir die Gefühle der Trauer durchleben, sie ordnen, ihnen Raum
und Zeit geben, brauchen wir nicht mehr ungeheure Energie um
festzuhalten was nicht mehr ist. Wir können vom Verlorenen Abschied
nehmen und gewinnen dadurch wieder Kraft und Energie, um uns dem
Leben zuzuwenden.